Freitag, 26. April 2019

(Not) All about Alex ...

Heute möchte ich euch gern von meinem Sohn erzählen, der mich mit seiner ganz persönlichen Logik gerade wieder zum Lachen gebracht hat...
Mein Sohn Alex ist mein einziges Kind, mein Sonnenschein, mein Augenstern und auch meine größte Sorge. Er ist 11 Jahre alt und besucht eine ganz normale Mittelschule im Ort. Und diese Tatsache ist erwähnenswert, weil mein Sohn Autist ist.
Irgendwie war er schon immer anders. Als er geboren wurde wog er 5000 Gramm, auf das Müüh genau. Ich habe ihn lange gestillt, auch wenn einem bei so großen Babys oft davon abgeraten wird. Aber dank Zufütterung hat er immer ausreichend Nahrung bekommen. Er war schon immer ein guter Esser - auch heute noch. Er isst viel und gern, leider nicht sehr abwechslungsreich (was aber ein Teil seiner autistischen Wesensart ist). Mein Sonnenschein war kein Krabbler, sondern ein Poporutscher. Er hat dadurch bedingt auch erst spät (mit anderthalb Jahren) das Laufen gelernt. Natürlich waren wir auch bei Ärzten, weil seine Entwicklung nicht gerade normgerecht verlief. Ich weiß, welche Entwicklung tut das schon. Aber wir waren dezent besorgt und wollten beim ersten Kind alles richtig machen. Da er in anderen Bereichen geglänzt hat (er konnte sehr früh mit einem beeindruckenden Vokabular sprechen) hielt sich unsere Besorgnis in Grenzen. Jedes Kind tickt anders, jedes hat ein anderes Tempo, also unterstützten wir, wo es notwendig war und ließen ihm seine Zeit.
Mein Mann und ich hatten beschlossen, dass ich die ersten drei Jahre Zuhause bleibe und mich um den Kleinen kümmere. Danach sollte er in den Kindergarten gehen und ich meinen Beruf wiederaufnehmen. Schön geplant ist halb versaut...
Alex war kaum 3 Wochen in der KiTa, da kam die Leiterin auf mich zu mit einer ellenlangen Beschwerdeliste. Er sondere sich ab, stehe immer buchstäblich mit dem Rücken zur Wand, sei kein Teamplayer, sein Gleichgewichtssinn sei mangelhaft... All das wussten wir und es gehörte für uns zu unserem Kind dazu. Anscheinend sind solche Verhaltensweisen im privaten Umfeld durchaus akzeptabel, nicht jedoch in einer Gemeinschaft wie zum Beispiel einem Kindergarten. Unsere Reise von Pontius zu Pilatus begann...
Unser Sohn wurde von einer sehr netten Dame vom "Mobilen sozialen Dienst" in der Kita besucht und begutachtet. Sie empfahl den Wechsel in einen speziellen Förder - Kindergarten, dem wir zustimmten. Das erste Jahr dort war wunderbar - für Alex und für uns als Eltern. Dann wurde die Zweigstelle geschlossen, Alex kam in die nächstgelegene - und die folgenden zwei Jahre waren nicht mehr ganz so rosig. Durch den Erzieherwechsel waren die Fortschritte unseres Sohnes nur noch minimal, sein Verhalten aufmüpfig. Gewisse Dinge sind mir leider erst im Nachhinein zu Ohren gekommen. Hätte ich früher von so einigen Erziehungsmethoden dort gewusst, hätte ich mein Kind dort rausgeholt. Methoden, wie zum Beispiel "die stille Treppe" sorgten nämlich dafür, dass mein Kind bis heute Höhenangst hat. Im letzten Jahr empfahl man uns den Besuch einer sozialpsychiatrischen Kinderklinik, in der man verschiedene Diagnoseverfahren nutzen wollte, um Alex´ Besonderheit definieren zu können. Das Ziel war die Möglichkeit, für ihn eine Schulbegleitung zu beantragen, mit deren Hilfe er eine Regelschule besuchen könnte. Man kann nur mit einer sehr genauen Diagnose, die von Spezialisten ausgesprochen wird, solche Dinge beantragen, also waren wir einverstanden. Unser Sohn hat zwar bei Intelligenztests (die in Förder-Kitas zum Standard gehören) stets die höchste Punktzahl erreicht, aber wir wussten, allein schafft er den Schulbesuch nicht. Sein Verhalten war damals schon sehr auffällig, wir konnten nur nicht sagen weshalb. Bei jedem Versuch ihn zu berühren (außer von meiner Person) schrie er lauthals los, man wolle ihn umbringen. Er war sehr empfindlich gegenüber verschiedenen Materialien auf der Haut, konnte mit dem Verhalten der anderen Kinder einfach nichts anfangen .. Die Liste war endlos.
Fast ein Jahr lang fuhren wir im vier-Wochen-Rhythmus in diese Klinik und machten verschiedenste Tests, füllten endlose Fragebögen aus und ließen Interviews über uns ergehen. Ergebnislos. Nichts, Nada, Niente. Es war zum Verrücktwerden. Während der ganzen Zeit versuchten wir zu vermeiden, dass unser Kind sich als abnorm betrachtet, sich als fehlerhaft sieht. Ein Balanceakt. Diese "Besuche" waren stets ambulant. Als man dann von uns verlangte, wir sollten unser Kind für 12 Wochen ohne Kontakt in stationäre Behandlung geben, war für uns Ende. Und die Schulbegleitung in weiter Ferne. Als Nächstes versuchten wir eine "psychosomatische Uni - Kinderklinik". Da waren die Tests nach einer halben Stunde abgeschlossen . Mit dem Ergebnis, wir hätten den Jungen gnadenlos verzogen und seine Probleme würden von allein vergehen. Dafür hatten wir also ein dreiviertel Jahr auf den Termin gewartet...
Alex´ Einschulung stand vor der Tür. Wir mussten es ohne Schulbegleitung versuchen, denn eine ordnungsgemäße Diagnose lag noch nicht vor. Also schickten wir ihn schweren Herzens in die Grundschule. Was natürlich völlig gegen den Baum lief. Es war katastrophal. Unser Junge war vollkommen überfordert, wir am Rande der Verzweiflung. Ich arbeitslos, weil ich ständig erreichbar sein musste, um notfalls mein Kind sofort abzuholen. Nach etwa drei Monaten hatte seine Klassenlehrerin eine Idee. Sie meinte, Alex´ Verhalten erinnere sie an einen anderen Jungen, den sie vor einigen Jahren in ihrer Klasse hatte. Bei diesem Jungen sei vor Kurzem Autismus festgestellt worden. Das machte uns hellhörig. Wir hatten einen Verdacht, dem wir diesmal konkret nachgehen konnten. Kein stochern im Dunkeln, sondern gezieltes Nachforschen...
Ich setzte mich sofort mit dem Autismuszentrum Schwaben in Verbindung und versuchte einen Arzt zu finden, der uns mit der Diagnose helfen konnte. Leider gab es im gesamten Allgäu nur einen einzigen Arzt, der sich genau darauf spezialisiert hat. Das war vor 5 Jahren, damals war Autismus noch eine völlig unbekannte Größe. Heute ist er durch Film und Fernsehen ja beinahe schon salonfähig geworden. Die Wartezeit bei dem Herrn betrug ein dreiviertel Jahr. Wir hatten Glück. Jemand sprang ab und wir rutschen in der Warteliste weiter nach vorn. Nach einem halben Jahr und 5 Fahrten in die 150 Km entfernte Praxis, seitenweise Fragebögen und sehr sehr selbstkritischen Momenten hatten wir es schwarz auf weiß. Alex ist Autist. Ich hätte den Arzt küssen können (Was er sehr irritierend fand, denn normalerweise freuen sich Eltern nicht über eine derartige Diagnose. Ich war aber einfach nur glücklich, endlich Bescheid zu wissen). Nebenbei stellten wir Dank der Fragebögen fest, dass sehr viele von den typisch autistischen Verhaltensweisen und Erfahrungen auch auf meinen Mann zutreffen. So ganz nebenbei hat er also auch noch (im Alter von 42 Jahren) seine Diagnose bekommen. Plötzlich hatte ich zwei Autisten daheim, einen Großen (der durch die schwächere Ausprägung und die grundsolide Sozialisierung kaum vom "Normalverhalten" abwich) und einen Kleinen (dem ich jetzt endlich wirklich helfen konnte). Von nun an wird alles besser - dachten wir. Denn es ist eines, zu wissen was Sache ist. Etwas ganz anderes ist es, damit zu leben...
Für heute bin ich völlig fertig, aber ich werde euch noch den Rest der Geschichte erzählen. Zwischen damals und heute liegen ja fast fünf Jahre und viel ist geschehen - Gutes und Schlechtes....

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Oh, Du Fröhliche ...

Weihnachten ist die Zeit der Besinnung, der Freude und der strahlenden Kindergesichter. Naja, in diesem Jahr könnten meine Familie und ich v...