Mittwoch, 22. Mai 2019

Der Herr sei mit euch ...

… seid ihr auch mit ihm?
Soll ich mich hier wirklich an das Thema "Religion" heranwagen? Seit Jahrtausenden der größte Streitpunkt auf Erden? Vielleicht erzähle ich euch einfach von unserem letzten Wochenende...

Meine Nichte feierte ihre Konfirmation. Für alle, denen das genauso wenig sagt wie mir - sie ist 13 Jahre alt, evangelisch und wurde bei diesem Ereignis in die erwachsene Kirchengemeinde aufgenommen. Ich hoffe, das war jetzt richtig.
Ihr merkt schon, ich bin in religiösen Fragen nicht so ganz bewandert. Hey, ich bin ein DDR-Kind, bei uns war Kirche nicht so der Hit. Tatsächlich wurden ab einem bestimmten Jahrgang kaum mehr Kinder religiös erzogen oder sogar getauft. Politik war einfach entscheidender, die Treue zum sozialdemokratischen Staat wichtiger als die Treue zu Gott. (Damit möchte ich nicht sagen, dass unsere Familie besonders staatstreu war. Wir hingen nur sehr an unserem Leben und verhielten uns still und unauffällig) Meine älteren Geschwister wurden noch getauft, ich als Nachzügler wuchs dann schon als Heidenkind auf. Ein bisschen was von Religion habe ich später während meines Studiums mitbekommen. Das lag aber nur daran, dass die Theologen sich mit uns Sozialfuzzis ein paar Uni-Gebäude teilten. Man freundete sich an und bekam ein wenig vom Studieninhalt der anderen mit.
Zurück zum Thema...
Unser Nichte feierte also ihre Konfirmation. Selbstverständlich waren wir als Teil der Familie eingeladen. Zwei Autisten und eine Heidin. Das konnte ja was werden. Mein Mann und ich hatten im Vorfeld mit unserem Sohn gesprochen, ob er die Einladung annehmen möchte. Mein Mann ist tatsächlich religiös (Naja, zumindest glaubt er an Gott. Allerdings praktiziert er keine wirkliche Religion, so mit Kirchgang am Sonntag. Er pflegt eher so die "Light-Version"). Unser Sohn dagegen ist sehr unreligiös. Anders kann ich es nicht beschreiben. Alles, was mit dem Thema zu tun hat, ist ihm ein Gräuel. Er versteht es einfach nicht. Sein Leben wird von Logik bestimmt. Was man nicht erklären oder beweisen kann, existiert nicht. Dementsprechend lustig war sein Reli-Unterricht in der Grundschule. Sein Lehrer von damals war am vergangenen Sonntag der Pfarrer, der die Konfirmation leitete. Zum Glück verstehen sich die beiden prächtig. Herr F. ist ein wenig unkonventionell und hatte damals auch seinen Unterricht so gestaltet. Tatsächlich sprach er mich mal auf dem Schulparkplatz an und dankte mir "für dieses außergewöhnliche Kind, dass ihn oft sprachlos machte und ihn immer auf´s Neue herausforderte mit seinen gezielten und kritischen Fragen". Alex wusste im Vorfeld, dass sein ehemaliger Lehrer den Gottesdienst leiten würde. Außerdem mag er seine Cousine sehr gern und wollte bei ihrem großen Fest nicht fehlen. Uns dreien war klar, dass es ein sehr anstrengender Tag werden würde. Eine volle Kirche mit sehr vielen fremden Menschen, viel Religion, viel Lärm  und lange stillsitzen. Nicht optimal für Autisten, die all dies nicht mögen. Mein Mann hat das letzte Mal eine Kirche betreten, als ebenjene Nichte getauft wurde. Auch ihm liegen die Menschenmassen nicht. Dennoch wollten wir nicht fehlen, also nahmen wir die Einladung an.
Zum Glück gab es für die Familie reservierte Bankreihen, das machte es für meine zwei Männer leichter. Aber der Tag war eine wirkliche Herausforderung. Der Gottesdienst war sehr schön gestaltet. Herr F. baute zwischendurch sogar ein Bewegungsspiel für die anwesenden Kinder ein. Keine Ahnung, ob so etwas üblich ist. Ich fand es nett - und da Alex ihn kannte und ihm vertraute machte er sogar mit. Das Orgelspiel war sehr schön, die Blaskapelle viel zu laut und der Gottesdienst dauerte insgesamt etwas mehr als zwei Stunden. Mithilfe der Liedblätter bemühten wir uns sogar, brav mitzusingen. Es klappte ganz gut. Zwischendurch gab es einen Moment, der sehr schwierig für Alex war. Ich spürte sein zappeln neben mir, dass einem Overload vorangeht. Sein Gesichtsausdruck sprach Bände. Er wollte nur noch raus. Wir hatten vorher besprochen, dass wir die Kirche verlassen wenn es zu schlimm wird. Alex wusste das. Doch er hatte sich selbst zum Ziel gesetzt, durchzuhalten. Also saß mein armer Schatz neben mir auf der Bank und kämpfte gegen seine Dämonen. Ich hielt ihn fest im Arm, bedeckte ihn mit meinem Schultertuch und schirmte ihn so vor allem anderen ab. Das war wieder einer dieser Momente, in denen ich mein Kind am liebsten unter meiner Haut verstecken würde, damit es in Sicherheit ist. Nach ein paar Minuten hatte er sich gefangen, seine enorme Anspannung fiel von ihm ab. Er atmete ruhiger, seine Muskeln wurden weicher und ich konnte das Tuch wieder lüften. Schnell noch die Tränen trocknen... Ich war so stolz! Mein kleiner Held! Was für ein wunderbares Kind...
Als der Gottesdienst vorbei war wäre ich am liebsten nach Hause gefahren. Diese zwei Stunden hatten auch mich viel Kraft gekostet und ich wollte mein Kind nur noch in Sicherheit bringen. Doch die Familie traf sich noch zu einem Festschmaus in einem Restaurant. Alex wollte mitgehen. "Da gibt´s was zu Essen. Deshalb habe ich doch den ganzen Sch…  ausgehalten!". Tja, so pragmatisch auf den Punkt gebracht, dieser Logik konnte ich mich nicht entziehen und lachend machten wir uns auf den Weg zum Essen. Das Ehrenkind saß also dort im Kreise der Familie und Freunde. Alle redeten durcheinander, es wurde gelacht und gescherzt. Ich saß mit Alex am Rande der Gesellschaft und war in´s Gespräch vertieft. Alex neben mir schob glücklich mampfend sein schwer erarbeitetes Festmahl in sich rein. Sobald er fertig war legte er seine Gabel nieder, erhob sich mit den Worten "Ich bin satt, fahren wir nach Hause" und strebte Richtung Tür. Ich kenne mein Kind und wusste, dass er direkt nach dem Essen weg will. Alle anderen waren etwas pikiert. Ein Schmunzeln konnte ich also in dieser Situation nicht unterdrücken. Eine Tante rief ihm noch hinterher "Wir sehen uns dann in zwei Jahren bei deiner Konfirmation". Von wegen! Alex schaute sie nur an und meinte "Nee, ich mach sowas nicht. Ich bin Atheist"...
😂😂😂
Ach, ich liebe mein Kind. Es bringt mich immer wieder zum Lachen.....

2 Kommentare:

  1. *lach - sorry ich musste doch leise laut lachen - ich find deinen Sohn Klasse.

    Und genau solche Situationen zeigen uns doch dass wir es richtig machen.

    LG
    Ursula

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    1. Servus Ursula.
      Ja, genau das habe ich in dieser Situation auch gedacht. Mein Junge ist prima. Er ist immer absolut ehrlich, auch wenn "die anderen" das nicht aushalten. Ich bin sehr stolz auf ihn …
      Schönen Sonntag noch .. :))

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